Im Folgenden werden wir versuchen die typischen Vorurteile und Mythen, mit denen wir täglich konfrontiert werden mit den Ergebnissen von wissenschaftlichen Studien näher zu beleuchten. Es handelt sich hierbei um Fakten und nicht um unsere persönliche Meinung.
Wissenschaftliche Studien zu diesen Feststellungen:
Zur konservativen Therapie werden zahlreiche Methoden gezählt, hier ein Auszug: Periradikuläre Therapie (=PRT) = „CT gesteuerte Spritze“, Osteopathie, Krankengymnastik, Manuelle Therapie, Chiropraktik, Schlingentisch, Rückenschule, Stationäre Reha, Schmerztherapie, Akupressur, Akupunktur, Ambulante Reha (EAP), Bettruhe, Bewegungsbad, Biofeedback, Cranio-sakrale Therapie, Dorn-Therapie, Entspannungsübungen nach Jacobsen, Ergometer, Fango, Feldenkrais, Flexi-Bar (Schwingstab), FPZ, Heisse Rolle, Hypnose, Infusionen, Kältetherapie, Kieser, Kinesiotaping, Korsett, Krankengymnastik an Geräten, Krankengymnastik auf neurophysiologischer Grundlage (PNF), Mc Kenzie, Medikamente, Myoreflextherapie, Neuraltherapie, Psychologische Schmerztherapie, Tens-Gerät, Traktion, Stufenlagerung, … Zur Effektivität der meisten der o.g. Therapieformen bei der Behandlung eines Bandscheibenvorfalles liegen keinerlei seriöse wissenschaftliche Daten über deren Nutzen vor, obwohl ein Großteil dieser Behandlungsformen schon seit sehr vielen Jahren existiert. Das heißt, es ist völlig unklar, ob diese Therapien überhaupt einen Nutzen haben.
Seriöse wissenschaftliche Daten in Bezug auf die so genannte konservative Therapie bestehen für folgende Fragestellungen:
Wissenschaftliche Studien zu diesen Feststellungen:
Hagen Kb, Cochrane review, 2000
Deyo RA et al. N Engl J Med 315: 1064-70, 1986
van Tulder MW, Cochrane review, 2000
Hofferberth B, Arch Psych, 1982
Hofstee DJ, J Neurosurg, 2002
van Tulder MW, Cochrane review, 2000
Rhee JM, JBJS, 2006
Zusammenfassend lässt sich zur konservativen Therapie folgendes sagen:
Die konservative Therapie behandelt nicht die Ursache der Beschwerden, ist jedoch in vielen Fällen anfangs sinnvoll um die Beschwerden zu lindern und somit einen Zeitgewinn zu erzielen. In dieser Zeit kann sich der Bandscheibenvorfall in vielen Fällen von alleine zurückbilden. Es sollte eine individuelle Therapie in Absprache mit dem Arzt erfolgen. Bei anderen Schmerzursachen als dem Bandscheibenvorfall bleibt die konservative Therapie immer eine Form der Schmerzbehandlung.
Wissenschaftliche Studie die die 56 Studien zusammenfasst:
Siehe unter Punkt 1
Das aus der Bandscheibe herausgerutschte Stück kann nicht wie von vielen vermutet wieder zurückrutschen. Auch durch Krankengymnastik, Chirotherapie oder ähnliche Maßnahmen ist dies nicht möglich. Wenn die Beschwerden sich im Verlauf von alleine bessern, so liegt dies daran, dass das rausgerutschte Stück der Bandscheibe langsam austrocknet und von Zellen, die im Rahmen des Entzündungsprozesses „vor Ort“ sind, abgebaut wird. Hierdurch hat der gedrückte Nerv wieder Platz und die Schmerzen lassen nach.
Alle in der Zwischenzeit durchgeführten Maßnahmen (Schmerzmittel, Krankengymnastik, etc.) können dem Patienten diese Zeit des Wartens erleichtern indem sie die Beschwerden lindern. Ein Auflösen oder ein Zurückdrücken des Bandscheibenvorfalles ist von außen durch keine Methode möglich.
Es gibt Bandscheibenvorfälle bei denen der gerade geschilderte Vorgang gut funktioniert und der Patient ohne Operation beschwerdefrei wird. Dies sind glücklicherweise die meisten Patienten.
Einige Bandscheibenvorfälle schrumpfen jedoch nicht und die Beschwerden bleiben bestehen. Man kann davon ausgehen, dass der Bandscheibenvorfall nicht schrumpft, wenn die Beschwerden länger als 4 bis 6 Wochen anhalten. Dann kann eine Operation Hilfe bringen. Hierbei wird das sowieso für die Bandscheibe „verlorene“ Stück und ggf. ein Stück des inneren degenerierten Bandscheibenkernes entfernt und der Nerv befreit.
Leider sind grundsätzlich beide Szenarien denkbar. Wie bereits unter dem Kapitel „Der Bandscheibenvorfall“ beschrieben, heilen viele Vorfälle auch ohne Operation folgenlos aus. Demgegenüber stehen lebenslange chronische Nervenschmerzen verursacht durch einen nicht versorgten Bandscheibenvorfall. Genaue wissenschaftliche Angaben zur prozentualen Verteilung liegen nicht vor. Der Zeitfaktor spielt aber offensichtlich auch für die letztgenannte Gruppe eine wichtige Rolle. Patientenstudien zeigen, daß das operative Behandlungsergebnis schlechter wird, je später eine Operation durchgeführt wird. Nach 3 Monaten mit anhaltenden Schmerzen sprechen Experten bereits von einer Chronifizierung des Schmerzes.
Liegen keine zwingenden Gründe für eine Operation vor, wie z.B. Lähmungserscheinungen oder Blasenstörungen, stehen Patient und behandelnder Arzt vor einem Entscheidungsdilemma: Eine frühe Entscheidung zur Operation bringt den Patienten um die Chance einer spontanen Heilung. Im Falle einer späten Entscheidung kann eine etwaige Nervenschädigung gegebenenfalls nicht mehr rückgängig gemacht werden.
In dieser Situation ist eine pragmatische Lösung sinnvoll. Die Erfahrung zeigt, daß die Beurteilung des Behandlungsverlaufes die Entscheidung vereinfacht. Gibt es unter suffizienter Schmerztherapie (d.h. Analgetika mindestens WHO Stufe 2 und entsprechende Co-Analgetika) in Verbindung mit physikalischen Maßnahmen (KG oder analoge Behandlungen) keine Besserung der Schmerzen innerhalb von 4-6 Wochen ist eine Operation sinnvoll. Kommt es unter der konservativen Behandlung zu einer kontinuierlichen Verbesserung der Schmerzen, kann die Fortsetzung der Behandlung über diesen Zeitraum hinaus fortgesetzt werden. Sind die Schmerzen auch unter suffizienter Schmerztherapie für den Patienten nicht erträglich, kann die Operation zu jedem Zeitpunkt sinnvoll sein.
Viele unabhängige Studien haben gezeigt, dass es den operierten Patienten sowohl im Kurzzeitverlauf als auch im Langzeitverlauf besser geht als den Patienten, die sich einer konservativen Therapie unterzogen haben. Zusätzlich sind die operierten Patienten schneller beschwerdefrei und auch wieder schneller in den Alltag und in das Berufsleben integriert. Lesen Sie hierzu auch Punkt 1.
Eine Unzufriedenheit mit dem Operationsergebnis entsteht meist dann, wenn die Patienten vor der Operation nicht ausreichend über das Krankheitsbild aufgeklärt wurden. Es handelt sich bei einem Bandscheibenvorfall nicht um eine plötzliche Schädigung der Bandscheibe. Die Bandscheibe ist im Rahmen von Abnutzungserscheinungen schon trocken und rissig geworden (Lesen Sie hierzu auch Der Bandscheibenvorfall – Allgemeines). Der Bandscheibenvorfall ist eine Folge dieses Prozesses. Bei der Operation wird das im Nervenkanal liegende Stück der Bandscheibe entfernt, so dass der Druck vom Nerven genommen wird. Der Beinschmerz lässt nach der Operation rasch nach. Was die Operation nicht leisten kann, ist die Bandscheibe wieder „gesund zu operieren“. Die Abnutzung der Bandscheibe ist vorhanden und schreitet im Verlauf noch fort. Dieser Prozess kann leider nicht gestoppt werden. Die zunehmende Abnutzung der Bandscheibe kann dann im Verlauf zu Rückenschmerzen führen. Diese Rückenschmerzen sind dann nicht Folge der Operation sondern vielmehr Folge der fortschreitenden Bandscheibenabnutzung.
Zusammenfassend kann man feststellen, dass die Operation den Patienten langfristig nicht vor Rückenschmerzen bewahren kann. Zum Glück entwickelt jedoch nur ein Teil der Patienten im Verlauf der Bandscheibenerkrankung dauerhaft Rückenschmerzen. Die Beinschmerzen haben in allen Studien bessere Ergebnisse nach der Operation als nach konservativer Therapie gezeigt.
Wissenschaftliche Studien zu diesen Feststellungen:
Siehe unter Punkt 1
Wissenschaftliche Studien zu diesen Feststellungen:
Siehe unter Punkt 1
Wenn im Verlauf nach der Operation (Kurzzeitverlauf oder Langzeitverlauf) weiter Beschwerden bestehen oder wieder Beschwerden auftreten, so hat dies nichts mit der Narbe zu tun. Die Ergebnisse mehrerer Studien sprechen dagegen.
Bei jedem operierten Patienten entsteht eine Narbe. Dies ist ein normaler Vorgang und Teil der Heilung. In 70% der Fälle ist diese Narbe in der Kernspintomografie sichtbar. 84 % aller operierten Patienten sind jedoch komplett beschwerdenfrei. Auch diese Patienten haben eine Narbe unterschiedlicher Grüße und Ausdehnung, sind aber trotzdem schmerzfrei. Weitere Hinweise ergeben sich aus Medikamenten Studien, die die Entstehung von Narbengewebe verhindern sollen. In der Tat gelingt es, dass durch die Verwendung dieser Medikamente in der Bildgebung (Kernspintomografie) weniger Narbengewebe nachweisbar ist. Eine weitere Verbesserung des Operationsergebnisses (d.h. mehr beschwerdefreie Patienten) ist dadurch jedoch nicht zu erzielen. Schließlich gab es Versuche in der Vergangenheit, die Narbe zu behandeln. Alle Versuche hatten bislang eher zu einer Verschlechterung der Beschwerden geführt. Zusammengefasst ist die Narbe als Erklärung für die Beschwerden für alle Beteiligten (Patienten und Ärzte) ein plausibles Modell, scheint jedoch anhand der bisherigen wissenschaftlichen Untersuchungen falsch zu sein.
Angst vor der Narbenbildung braucht niemand zu haben. Bei Patienten, die im Verlauf nach einer Bandscheibenoperation Schmerzen entwickeln, liegt eine andere Ursache für die Schmerzen vor.
Wissenschaftliche Studie zu diesen Feststellungen:
Ross JS et al, Neurosurgery 38: 855-63, 1996
Cooper PR, Neurosurgery 38: 861, 1996
Sonntag VKH, Neurosurgery 38: 862, 1996