Therapie des Bandscheibenvorfalles der Halswirbelsäule

Diagnostik:
Nach ausführlicher, intensiver, organbezogener neurologischer und körperlicher Untersuchung veranlassen wir bei Vermutung eines Bandscheibenvorfalls bildgebende Untersuchungen.
Wir bevorzugen die Kernspintomographie (strahlenfreie Untersuchung) der Halswirbelsäule. In akuten Fällen (selten) ist eine Untersuchung noch am gleichen Tag nötig. Dies wird dann meist aus Zeitgründen im gleichen Haus durchgeführt. In einigen Fällen, wenn z.B. eine zusätzliche Information zur Beurteilung nötig ist, oder bei Patienten mit einem Herzschrittmacher, ist eine Computertomographie notwendig. Nur in Ausnahmefällen wird eine Myelographie bzw. Myelo-CT, das heißt eine Injektion von Kontrastmittel in den Spinalkanal, nötig.

Therapieentscheidung und Therapie:
Ist ein Bandscheibenvorfall neuroradiologisch gesichert (d.h. im Bild zu sehen), stellt sich die Frage nach der geeigneten Therapie. Wir beziehen uns im Folgenden immer auf Schmerzen, die vom Nacken in den Arm ausstrahlen und nicht auf reine Nackenschmerzen.
Wenn ein Bandscheibenvorfall zu keinen neurologischen Ausfallerscheinungen geführt hat, d.h. insbesondere keine Lähmungserscheinungen aufgetreten sind, wird zunächst versucht konservativ zu behandeln.

Eine konservative Therapie bedeutet erst einmal die Schmerzen mit schmerz- und entzündungshemmenden Medikamenten zu reduzieren, bis der Bandscheibenvorfall von alleine schrumpft und der eingeklemmte Nerv wieder frei ist. Unter dieser konservativen Therapie, die im Wesentlichen darauf beruht die Beschwerden für die Zeit des Abwartens erträglich zu machen, werden über 90% der Patienten beschwerdefrei. Erfahrungsgemäß geschieht dies in einem Zeitraum von ca. 4-6 Wochen. Sind die Beschwerden nach dieser Zeit nicht weitgehend verschwunden, muss man davon ausgehen, dass es sich um einen Bandscheibenvorfall handelt, der nicht von alleine schrumpft. Es wird in diesem Fall die operative Therapie empfohlen um eine zügige Beschwerdefreiheit zu erreichen.
Ein längeres Abwarten als 6 Wochen („vielleicht wird es doch noch besser“) ist nicht zu empfehlen. Es gibt inzwischen Studien, die zeigen konnten, dass ab einer Zeit von etwa drei Monaten mit Schmerzen die Gefahr einer Chronifizierung (chronischer Schmerz) durch die Entwicklung eines Schmerzgedächtnisses besteht.
Man kann sich dies so vorstellen, als wenn am Computer der Bildschirmschoner ausgeschaltet ist und sich das stehende Bild in die Bildschirmröhre einbrennt. Entsteht erst einmal ein solches Schmerzgedächtnis, hat man meist ein Leben lang mit dessen Folgen zu kämpfen.
Zusätzlich besteht an der Halswirbelsäule das Risiko der Rückenmarkschädigung. Dieses ist in der Lendenwirbelsäule nicht vorhanden, dort befinden sich nur noch Nervenfasern und kein Rückenmark mehr. Das ist wichtig, da eine Schädigung des Rückenmarkes (z.B. durch Druck) nicht mehr rückgängig zu machen ist. Eine solche Schädigung des Rückenmarkes im Halsbereich wird cervicale Myelopathie genannt. Es kann zu diffusen Schmerzen im gesamten Körper kommen, zu Gefühlsstörungen, zu einer Unsicherheit beim Laufen als hätte man zu viel Alkohol getrunken und zu Störungen der Blasen- und Darmkontrolle sowie zu Sexualfunktionsstörungen. Ist ein solcher Schaden bereits entstanden, kann die Operation meist nur ein Fortschreiten dieser Beschwerden aufhalten, die vorhandenen Störungen aber oft nicht mehr rückgängig machen. Es ist deshalb das Ziel, die Entstehung dieser Rückenmarksschäden frühzeitig zu verhindern.
Grundsätzlich sollte man dem Körper also anfangs die Chance geben, das Problem (in diesem Fall der Bandscheibenvorfall) selber zu lösen. Dies ist der Sinn der konservativen Therapie. Bringt dies nicht den gewünschten Erfolg, sollte man die operative Therapie wählen.

Es sei hier nochmals ausdrücklich darauf hingewiesen, dass alle konservativen Therapiemethoden (PRT, Schmerzmittel, Krankengymnastik etc.) nur das Ziel haben, die Zeit des Abwartens erträglich zu machen. Keine Methode (auch nicht die Krankengymnastik) kann das rausgerutschte Stück Bandscheibe wieder „zurückschieben“. Lesen Sie hierzu auch Die typischen Vorurteile und Mythen über die Behandlung von Bandscheibenvorfällen. Chiropraktik (= „Einrenken“) kann bei Vorliegen eines Bandscheibenvorfalles in der Halswirbelsäule die Beschwerden verstärken und sollte deshalb nicht unkritisch angewendet werden.

Es gibt auch Situationen, in denen eine solche „abwartende Therapie“ nicht sinnvoll ist. So sind z.B. Lähmungen wie ein Kraftverlust im Arm oder der Hand ein Grund zur sofortigen Operation. Hierdurch ist die Chance für eine Erholung der Nerven und damit auch eine Wiederherstellung der Kraft sehr viel besser. Dies ist wissenschaftlich mehrfach belegt.

Die operative Therapie des Bandscheibenvorfalles an der Halswirbelsäule
Die Operation wird in Vollnarkose und in Rückenlage durchgeführt. Nach Röntgendurchleuchtung zur Identifizierung der zu operierenden Bandscheibe wird ein etwa 3 cm langer Hautschnitt (rechts der Mitte) vorne am Hals angelegt. Anschließend wird die Halsmuskulatur in der Tiefe schonend auseinander geschoben, bis die Halswirbelsäule dargestellt ist. Nach Entfernung der Bandscheibe wird mit feinen Instrumenten der Bandscheibenvorfall bzw. der Bandscheibensequester (allein im Spinalkanal liegendes Bandscheibengewebe ohne Verbindung zum Bandscheibenraum) entfernt. Anschließend wird in den Bandscheibenraum ein Titan-Bandscheibenersatz, ein Ersatz aus Kunststoff (PEEC) oder eine Bandscheibenprothese implantiert und die Lage radiologisch kontrolliert. Wenn ein Bandscheibenersatz aus Titan oder Kunststoff eingebracht wird, führt dies zu einer Stabilisierung des operierten Segmentes. Eine Einschränkung der Beweglichkeit wird von den Patienten nur sehr selten berichtet. Das Ausmaß der Bewegungseinschränkung steigt mit der Anzahl der operierten Segmente in der Wirbelsäule. Meist ist jedoch nur ein Segment betroffen und die Patienten fühlen sich postoperativ in ihrer Bewegung nicht eingeschränkt. Das Tragen einer „Halskrawatte“ nach der Operation ist nicht erforderlich, da wir bei einer gewünschten Wirbelkörperfusion (= im Verlauf knöchernes Zusammenwachsen der Wirbel) meistens mit einer kleinen Titanplatte die beiden Wirbelsäulensegmente verbinden.

 
Titan Cage   Einbringen der Platte an der Halswirbelsäule    
 
   
Bandscheibenprothese Einbringen der Prothese an der Halswirbelsäule


Bei reinen Bandscheibenvorfällen ohne begleitende Veränderungen der Wirbelkörper im Sinne von Verschleißerscheinungen oder knöchernen Stenosen bietet sich die Implantation einer Bandscheibenprothese (künstliche Bandscheibe) an. In Ausnahmefällen kann die Operation auch vom Nacken her durchgeführt werden. Diese Operation gleicht technisch der Operation an der Lendenwirbelsäule. Der Vorteil beider Verfahren ist die erhaltene Beweglichkeit der Wirbelsäule. Diese Verfahren sind jedoch nicht für jeden Patienten geeignet. Bei vielen Patienten ist sogar ein besseres Operationsergebnis durch eine Wirbelkörperfusion zu erwarten. Wir beraten Sie im Einzelfall gerne, welches der drei Operationsverfahren für Sie am besten geeignet ist.
Der Eingriff dauert in der Regel ca. 1 Stunde. Wir führen die Operationen in mikrochirurgischer Technik, d.h. unter dem Operationsmikroskop (Schlüssellochprinzip), durch, was einen minimal-invasiven und sicheren Eingriff möglich macht. Der gesamte Klinikaufenthalt hat sich mit der minimal-invasiven Methode auf 4-5 Tage reduziert. Bereits am Tage nach der Operation können die Patienten umherlaufen. Lähmungen die vor der Operation bestanden haben, können direkt am Folgetag nach der Operation krankengymnastisch beübt werden. Über das weitere Vorgehen ist im Einzelfall nach Entlassung aus dem Krankenhaus zu entscheiden. In den wenigsten Fällen ist eine Rehabilitationsmaßnahe unter stationären Bedingungen erforderlich. Alle unsere Patienten werden postoperativ engmaschig von uns weiter betreut, so dass auf die Bedürfnisse jedes Einzelnen entsprechend eingegangen werden kann.